Schlussgedanken
Das Ende. Der letzte Tag. Die Abreise. Nun ist schon eine Woche vorüber und die Ideen hören auf zu leben. Sie sterben an einem Drangsal, der Müdigkeit des Verfassers nämlich. Es ist nicht so, dass ich es nicht versuche, aber es wird mir verwehrt diesen Text zu beenden. Alles setze ich daran diesen Bericht zu schließen und sich wieder ganz dem Ekel riechenden Alltag zu widmen; schaue mir Fotos an, höre Lieder, die wir gesungen haben, singe sogar leise mit, was ich oft auf der Fahrt unterlassen und uninteressiert abgeworfen hatte wünsche ich mir jetzt, sehne mich, bleibe lange auf, drehe die Heizung auf, damit Wärme die unseren Zimmern immer zu Teil war neues Heim findet, hier in Berlin. Sogar essen tue ich in der Nacht, obwohl ich es mir nach einer verhängnisvollen Nacht, der zum Donnerstag, verboten hatte. Drei Mal habe ich angefangen zu schreiben, jedes Mal mit anderem Stift und anderem Schriftzug. Doch alles verliert sich in den ausbreitenden Armen der Sehnsucht.
Es fehlt mir die Luft, die breiten Fenster, die kleinen Balkone, die gepflasterten Wege, der Sand, der mäßig gepflegte Rasen, die farbigen Häuser mit ihren dienlichen Zimmern, benannt nach Heiligen, die Zimmer mit den einfachen Schränken, den Hochbetten, deren Treppen gefährlich bewegbar sind, das einfache Bad, der Flur, welcher irgend im Esssaal endet, der Gemeinschaftsraum, ganz St. Otto Heim mit all seinem Platz und mit den Menschen die es bevölkert hatten, ihr Miteinander, der Strand und allen voran das Meer, welches seine Wellen auch heute an die Küste trägt. Oder tragen die Wellen das Meer? ... Eine Woche später scheinen die Erlebnisse, die Erfahrungen verlorenzugehen, zu versinken im Alltag, im Meer kommerzieller Dogmen… Einsamkeit, quälend, weil man nicht allein und doch verlassen ist. Ein Teufelskreis, eine Wahrheit die ich in Orhan Pamuks Buch „Schnee“ wiederfinde und mich mit ihr tröste:
„Einsamkeit ist eine Frage des Stolzes; der Mensch vergräbt sich in seinen eigenen Dunst. Der wahre Dichter stellt immer die gleiche Frage. Wenn er lange glücklich ist, wird er gewöhnlich. Und wenn er lange unglücklich ist, findet er nicht die Kraft in sich, sein Gedicht lebendig zu erhalten…“
Es dreht sich in mir; die Gedanken verlieren sich. Mit Unmut nehme ich wahr dass dieser Bericht immer mehr zum persönlichen Tagebuch wird. Verwirrung…
Das Ende gelingt vielleicht deshalb nicht, weil gerade wo Abschied sich zu erkennen gibt, Neues keimen will. Auch am Freitag war es so, ich habe es mir notiert.
Ich kann mich vage an Konversation philosophischer Natur am Frühstückstisch erinnern; Fotos zeugen davon.
Theologie und Philosophie. Sind sie nun Geschwister oder Feinde?
Es war abzusehen, dass der Pfarrer, als Theologe, die Philosophie unter die Theologie stellen würde. Ähnlich wie der Kirchenvater Augustinus, bezeichnet er die Philosophie als Krücke, als „Magd der Theologie“, doch fehlt mir die Idee, vielleicht auch das Wissen, um fortzuführen, so komme ich zum Nachmittagsgeschehen.
Fern von aller Philosophie und Geistlichkeit wurde heute ein großes Fußballspiel veranstaltet und meine Gedanken, die ich wohl unbewusst weiterführte, wurden mir zum Pein.
Nun ist schon ein ganzer Monat vergangen und immer noch gedenke ich den Bericht – wie auch immer – zu schließen. Meine Mutter rät mir schon seit Wochen einfach einen Schlusssatz hinzuschreiben und ich glaube genau das werde ich tun, denn meine Gedanken schweben wieder wo ganz anders. Hier in Berlin kann ich mich meinen Büchern wieder zu wenden, deren Worte mich jetzt stärker denn je antreffen, der Film, als eine moderne Oper (Der Club der toten Dichter) oder als ein modernes Märchen (Harry Potter und der Stein der Weisen), ist mir eine neue Leidenschaft geworden und das stärkste von allen Erlebnissen in diesem einem Monat ist die Begegnung mit der Lyrik, dies geht so weit das ich angefangen habe meine eigenen Gedichte zu schreiben, ein oder zwei zeige ich Ihnen heute als Schlussgedanke:
Wir, die Welt
Die ganze Welt
ist egoistisch
Und wers sagt,
tuts ihr gleich
Wissen und Unwissen
Naives Herz
wiege dich nicht in Gewissheit
so treibst du ins Gegenteilige
Naive Seele
glaube nicht ans Glück
so verlierst du es
Naives Herz
hör auf ein Naives zu
sein
und schaue in die
Welt
die unser aller Pein
Zukunft und Vergangenheit
Der Dumme hofft auf die Zukunft,
welche ungewiss ist
Der Schlaue denkt in der Gegenwart,
die niemals ist
Der Träumer,
welcher ich ja bin,
ist das Wesen dazwischen
Es nennt sich Vergangenheit,
du Zukunft der Gegenwart!
Wirren
Warum helft ihr euch?
Ihr seid doch Feinde
Was macht ihr da?
Es hat kein sinn…
Es gibt kein wir
Nur ein Du,
ein Ich,
das sind wir
Wir Menschen
Wo ich bin
Sehe ich es
Wo ich geh
Höre ich es
Was ich war
Ich bin
Was Morgen wird
Sein?
Ein Mensch
Ein Homo Sapiens
Ein Egoist
Wie Sie sehen, habe mich doch anders entschieden und gleich fünf von meinen Gedichten dazugefügt.
Nun aber zum Schluss – ich weiß das ich vorhin was anderes sagte, doch will ich danken, Ihnen für das aufmerksame lesen und allen, die bei der Reise mitmachten; Sie waren mir eine große Hilfe.
Der Grund für mein ständiges hin und her ist nämlich kein anderer, als der der Angst, fürchterliche Angst, wie ein Schatten der kommt und geht, hierzu noch ein Gedicht:
Schatten
Ein tiefer dunkler Schatten
Läuft mir ins Gesicht
Seine Schritte weisen
Und wahren mir mein Licht
Mein Licht, sei behütet
Und nicht befangen,
Sei bei mir,
So tut mein Verlangen
Ein tiefer dunkler Schatten
Schnell ist er gekommen
Ein tiefer dunkler Schatten,
Gegangen ist er,
Wie gekommen
Aber das ist nicht wirklich Absicht meines Schreibens. Meine Angst ist die vor dem Verlust meiner Gedanken, meines Selbst und in dem ich das schreibe enttarne ich mich und muss wieder mit Erschrecken feststellen, dass dieser Bericht zu meinem Tagebuch geworden ist.
Hätte ich keine Angst, wäre ich - vielleicht auch Sie - glücklicher, denn ich hätte noch vielmehr schreiben und sehen können. Ich ende mit den Worten:
Es tut mir leid … |
12.04.2007 Osterdonnerstag
Diesmal fing der Tag für mich viel radikaler als sonst an. Ich erbrach nach dem Aufwachen das am Abend, ich gebe zu, in der Nacht, Gegessene auf den Boden - der Tatsache: „Du hast dich überfressen!“ Den anderen war dies nicht vergönnt, sie genossen den Morgen. Später begab ich mich zusammen mit meiner Mutter auf eine Reise in die Heimat…
Jeder hat Vergangenheit mit welcher er leben muss. Viel interessanter stellt sich mir die Zukunft dar…
Ich bin ein Träumer, träume von Vergangenheit, von Zukunft… Aber ich schäme mich dessen nicht, denn ohne Traum verliert man Vergangenheit, verspielt die Zukunft und ist somit nur noch ein geistloses Geschöpf in der Gegenwart. Viele Träumer sind abergläubisch, doch ich habe gelernt, ihn zu verachten. Er ist sinnlos, Dummheit schaffend…
Der Mensch, den ich heute näher zu beschreiben versuche, reiste gemeinsam mit mir in die Heimat Seiner Sprache, der polnischen. Bei jedem Wort, welche sanft im Halse entstanden, die Lippen streichelten, dann in Vollendung den Mund verließen, glänzten ihre Augen, wie die eines kleinen Kindes. In Polen fängt sie wieder an zu träumen. Ich spreche von meiner Mutter und sehe sie als Kind. Es ist gut. Sie spricht von Mentalität und Heilkräften polnischer Luft. Doch liegt nicht mystisches noch verräterisches in ihrer Stimme, sondern eine bewundernswerte Spontaneität, die Kreativität des Kindes, welche den Klischees über die Polen weit entfernt ist. All ihre Gesichtsmuskeln sind entspannt. Zufrieden schaut sie mit ihrer Freundin, zu der wir zu Besuch sind, auf das kleine größer werdende Kind, das ich längst nicht mehr bin.
Swinemünde ist die Stadt der modernen Moral. Ihre Gebäude strahlen eine moderne gläserne Pracht aus, die in der Gropiusstadt nicht mehr vorhanden ist. Doch in den Gebäuden spricht die Strenge der Moral polnischer Mentalität.
Tante Juni selber Imobilenmaklerin, sprach folgendes über die Zukunft der Architektur:
„Alte Gebäude sollten in jedem Fall restauriert und gepflegt werden. Aber wer ein neues Gebäude baut, muss der Moderne gut zu sprechen.“
Sie sprach dies auf dem Spatziergang zum Meer.
Wie es sich gehörte brachten wir den Möwen Brot mit und es dauerte nicht lange, da standen wir inmitten eines weißen Chaos, eines wilden Durcheinanders, eines hektischen Schlagen der Flügel welche zum Verlust der Federpracht führte - an Stelle von Melancholie zeigt sich ein impulsives Durcheinander von Gefühlen, derer Sinnlichkeit verloren geht am Triebe eines Tieres.
Die Möwen, die Tauben des Meeres…
Sie litten an Hunger und ihre Übermacht ließ vermuten sie kämen von überall. Sie wussten anscheinend vom guten polnischen Bäcker und weiter warfen wir ihnen trockenes Brot zu und es kamen mehr und mehr Möwen bis wir beinah untergingen im Meer der Möwen…
Dann wurde der Strandspaziergang fortgeführt und auch die Gespräche fanden wieder zur alten Manier. Doch mit alter Manier ist nicht etwa Klatsch gemeint, so leid es mir tut, auch kein intellektuelles Gespräch war zu belauschen. Es war ein Gespräch zwischen Freundinnen, eins wie jedes andere zwischen Erwachsenen, doch auf eigenartige Weise etwas besonderes. Mir ist nichts vom Inhalt übrig geblieben, der Inhalt war auch nicht das Wesentliche des Gesprächs, es war die Sanftheit jedes Tones, der noch vom taktvollen Aufbrausen des Meeres verstärkt wurde.
Es war nichts als Melancholie…
Mit dem Mann kam die Banalität in das Leben der Frau. Das Konkrete kam zum Vorschein und der Tod aller Abstraktion schien nahe zu sein. Diese Erkenntnis fällt mir schwer mit der Schöpfungsgeschichte zu vereinbaren, denn ich bin mir gewiss, vor dem Mann war die Frau… ist die Frau!
Das Genie des Mannes ist seine Trivialität, in ihr nämlich steckt die Gabe des Humors, der Ehrlichkeit. Er ist das Gegenstück zur Melancholie, will ihr beweisen, wie nutzlos sie doch sei und in dieser brutalen Polemik vergisst der Mann den Sinn zur Schönheit der Frau, welche verführt, jetzt einer Diskussion über Politik folgt, nicht aber Disharmonie der Geschlechter wagt.
Wir saßen schon im Zug Richtung Zinnowitz, da konnte ich Merkmale an meiner Mutter wiederfinden, die ich bisher nur bei meiner Schwester sah, sie knabberte an ihren Fingernägeln und zitterte ganz stark mit ihren Beinen. Sie war glücklich und jung geworden, kein bisschen Melancholie war mehr in ihr zu sehen, denn sie war im Glück… Im Glück einen sich die Geschlechter, so auch unsere Gruppe…
„Es wurde Nacht. Es wurde Tag. Und Gott sah, dass es gut war…“
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11.04.2007 Ostermittwoch
Mit schweren Beinen, müden Augen stand ich auf an diesem friedlichen Morgen. Die Beine trugen mich zwanghaft – wie auch dieser Bericht heute zumindest geschrieben ist, im Müßiggang zum Morgengebet, um den Geist von aller Trägheit zu entfesseln. Die Ostsee, vielmehr der Wind, ließ Tränen über mein Gesicht schweben, um dann den Boden zu durchtränken. Wo eben noch die Sterne schienen, konnte nun die Sonne ihr Werk beginnen und ihre Strahlen stachen so hell, dass meine Augen sich krampfhaft schlossen und wieder schlief ich ein. Meine Hülle bewegte sich lediglich. Nur die Kinder, beschenkt mit Reichtum von Energie und neu Erlerntem, vertrieben die Müdigkeit. Ihr melodisches Lachen erreichte mich in meiner Hülle.
Die Frische der Jüngeren wurde zum Leid der Älteren.
Doch wenn ich ehrlich auf diesen Tag zurückschaue, langweilt mich das Leid, das wie ich vermute mit dem Alter kommt und stärkt die Faszination über die Kreativsten von uns. Jung sein heißt kreativ sein. Jungfleisch durchlebt von Kreativität, wie Meeresboden vom Wasser durchströmt, zeigt, wer wir sind.
Kinder sind Friedensstifter und ausschließlich an ihnen kann man sehen, dass wir alle von Gott abstammen.
Sie zweifeln? Weil Sie lesen können und darum schön etwas älter sind? Tun sie dass ruhig. Das bestätigt ihre Unreife, wenn sie nicht sehen wollen, dass erst Kinder Gemeinschaft schaffen können. Denn sie sind unser Thema heute: Engel.
Sie ändern unser Leben und führen uns, wohin wir nicht wollten. Sie haben die Macht der Herzen. Das Zeitalter der zwanglosen Kreativität hat begonnen. Heute sprühten Funken von Gemeinschaft in uns auf, um im gemeinsamen Spiel zu reifen.
Der Pfarrer und ich haben unterschiedliche Ansichten von Ewigkeit. Er predigt, wenn ich mich nicht irre, ihre Erkenntnis käme mit dem Glauben. Ich dagegen behaupte, sie hat im Kind bereits ihre Entfaltung gefunden. Wäre ich doch ein Kind geblieben… ein Engel, … ein in die Welt getragener Bote, .… die Botschaft der Ewigkeit selbst.
„Es wurde Nacht. Es wurde Tag. Und Gott sah, dass es gut war…“
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